In diesem Beitrag finden Sie einige Inhalte des Jahresberichts der Deutsch-Jemenitischen Gesellschaft für das Jahr 2004 Heft 1 aus dem Jemen. Der Jemen-Report ist eine Vorstellung der DJG über den Jemen, in dem viele Ereignisse und Themen, die mit dem Erscheinungsjahr in Verbindung stehen oder auch nicht, gesammelt und aufbereitet werden. Darüber hinaus sind die Themen allgemein gehalten und nicht auf ein bestimmtes Feld festgelegt. Wenn Sie die vollständige Version dieses Berichts haben möchten, können Sie uns einfach kontaktieren.


Editorial
Es ist sehr erfreulich, dass sich trotz aller Aufgeregtheiten um das Stichwort „Terrorbekämpfung“ die konkreten Projekte friedlicher deutsch-jemenitischer Zusammenarbeit mehren. Das jemenitisch-deutsche Krankenhaus auf unserem Titelbild steht dafür genauso wie die positive Entwicklung des „Deutschen Hauses“ in Sana’a, die Tätigkeit des Deutschen Archäologischen Instituts ebenso wie die Aktivitäten politischer Stiftungen. Neben der Friedrich-Ebert-Stiftung streckt nun auch die Hanns-Seidel-Stif-
tung von Amman Fühler nach Jemen aus. Der Jemen ist nach wie vor Schwerpunktland deutscher Entwicklungszusammenarbeit, wobei eine deutliche Verschiebung der Aktivitäten zur Institutionenförderung festzustellen ist. Beide Staaten haben jüngst neue Botschafter ernannt, die mit frischem Elan den Ausbau der Beziehungen auf möglichst vielen Ebenen voranbringen möchten. Nicht zuletzt auf dem Feld der Kunst gibt es immer wieder fruchtbare Begegnungen. Dies alles (und vieles mehr) ist – im Sinne des interkulturellen Dialogs – letztlich wohl viel wichtiger für die Bekämpfung des Terrors als politische oder gar militärische Interventionen, denn es nimmt die Menschen mit ihren Wertvorstellungen, Gefühlen und Problemen ernst. Die Deutsch-Jemenitische Gesellschaft, die sich dieser Aufgabe von Beginn an verpflichtet fühlte, wird sich auch weiterhin in diesem Sinne
engagieren.

Horst Kopp


Inhalt
25 Jahre Ausgrabungen und Forschungen des Deutschen Archäologischen Instituts
im Jemen (1978-2003) (Iris Gerlach) ……………………………………………………………………………………………… 4
Heirat und Ehe in Zeiten der Globalisierung (Hanne Schönig) ……………………………………………………………… 10
Geld für Bildung – ein Tropfen auf den heißen Stein?! (Gudrun Orth) ……………………………………………………. 14
Der Tourist und die Kinder (Wolfgang Schmidbauer) ………………………………………………………………………… 16
Der Imam-Palast im Wadi Dhar (Georg Theuerkauf) …………………………………………………………………………. 18
Herzbunte Nächte.
Roland Fürstenhöfer – Wanderer zwischen Realität und Traum (Magdalena S. Gmehling) …………………… 20
Vermischtes ……………………………………………………………………………………………………………………………. 22
Jemen aktuell …………………………………………………………………………………………………………………………. 34
Neue Literatur …………………………………………………………………………………………………………………………. 38
Aus der Presse ………………………………………………………………………………………………………………………… 40
Rezensionen …………………………………………………………………………………………………………………………… 42
Mitteilungen der Gesellschaft ………………………………………………………………………………………………………. 45
Wichtige Informationen, Impressum, Beitritts-Erklärung ……………………………………………………………………. 47


Geld für Bildung – ein Tropfen auf den heißen Stein?!

Gudrun Orth

Einer der Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit dem Jemen ist die erbesserung der Grundbildung, insbesondere der Mädchen. Bei einer Analphabetenrate von 56% – auf dem Land, unter Frauen, wesentlich höher – liegt das auf der Hand. Überall, auch hier mit deutlichem Stadt-Land-Gefälle, fehlt es an Schulen, Ausstattung und Lehrkräften, vor allem Lehrerinnen. Denn oftmals ist es die fehlende Lehrerin, die den Schulbesuch von Mädchen verhindert. Seit Jahren arbeiten GTZ, KfW, zeitweise auch der DED, und andere internationale Geberorganisationen an der Verbesserung der Schul- und Bildungssituation. Im letzten Herbst wurde eine Nationale Bildungsstrategie vom Parlament verabschiedet, Väter- und Mütterräte wurden gesetzlich festgeschrieben und derzeit arbeitet die Bildungsverwaltung auf allen Ebenen an der Umsetzung des Basic Education Improvement Program. All dies ist ohne finanzielle und professionelle Hilfe der Donors nicht machbar. Ein Mosaikstein ist die Aus- und Fortbildung von EnglischlehrerInnen in der Provinz Ibb, die CIM (Centrum für Internationale Migration) seit März 2002 durch mich als Teacher Trainer in der Provinzschulbehörde Ibb unterstützt. Mit einigen Einblicken in meinen Arbeitsalltag und Hautnah-Eindrücken will ich – jenseits von Statistiken – veranschaulichen, wie mühsam und doch erfreulich und hoffnungsvoll Bildungsarbeit sein kann.

Organisatorischer Rahmen

Vom Bildungsministerium habe ich einen Vertrag, wie alle ausländischen Lehrkräfte, als Lehrerin am Lehrerbildungsinstitut (LBI). Meine Tätigkeit dort ist auf ein bis zwei Tage begrenzt, so dass ich den Rest der Zeit dem Province Education Office (PEO) für In-Service-Trainings zur Verfügung stehe.
Das PEO Ibb im Stadtzentrum verfügt über einen gut ausgestatteten Trainingsraum, eine Fachbibliothek und eine Damentoilette (nicht selbstverständlich!). Mein Büro teile ich mit den FachberaterInnen für Schulsozialarbeit (ein Mann, drei Frauen). Seit kurzem gibt’s Strom, Vorhänge, neuen Wandanstrich und Kalenderbilder an der Wand, selbst finanziert. Telefon und Fax? Fehlanzeige – zuhause! Und frau hat ja ein Handy.
Das PEO Ibb plant und verwaltet den Betrieb der öffentlichen Schulen und Lehrerbildungsinstitute, beaufsichtigt private Schulen und Institute. Es organisiert mit etwa 250 Mitarbeitern in Ibb und weiteren 500 in den Distriktverwaltungen den Einsatz der ca. 10.000 Lehrkräfte und überwacht den Lehrbetrieb, inklusive zentral gestellter Prüfungen. Somit ist es auch für die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte und die Schulentwicklung in der Provinz verantwortlich. Ibb ist mit gut 2 Millionen Einwohnern, knapp ein Viertel davon SchülerInnen, die zweitgrößte Provinz des Jemen.*
Das LBI liegt etwa 20 Fahrminuten außerhalb der Stadt und ist vergleichs-weise gut ausgestattet und geführt – und sehr schön begrünt. Neben 35 Kollegen, vier davon in der Englisch-Abteilung, gibt es
eine Kollegin, die Islam unterrichtet. Hier erwerben die StudentInnen, die ohne Ausbildung und Qualifikation (landesweit etwa 60% ohne Sekundarschulabschluss!) bereits an Schulen unterrichten, in zweijährigem Teilzeitstudium an drei Tagen pro Woche ein Diplom. Das bringt bessere Bezahlung und hoffentlich besseren Unterricht.

Unterricht am LBI

Im letzten Semester unterrichtete ich 35 Studenten, es war wirklich keine Frau darunter, die schon einige Jahre Unterrichtserfahrung haben, in Fremdsprachendidaktik.

Dafür sind im Studienplan ganze 14 Doppelstunden vorgesehen. Wegen dieser begrenzten Zeit wähle ich einen sehr praktischen Weg: Wissensvermittlung gepaart mit einer Vielfalt von Methoden, die auch im Unterricht mit bis zu 80 SchülerInnen anwendbar sind (Anregungen der didaktisch-methodisch versierten
LeserInnen nehme ich gerne auf!). Durch viele Schulbesuche und Workshops mit LehrerInnen bin ich gut vertraut mit den ständig beklagten Umständen und den (oft nicht ausreichend) verfügbaren Büchern – das ist von Vorteil. Tatsächlich ist es so, dass in den viel zu kleinen, oft spärlich möblierten Klassenzimmern das einzige Medium eine Wandtafel (fest montiert, ohne Lineatur!) ist. Und die ist oft von so erbärmlicher Qualität, dass keiner was lesen kann.

Zurück zu den StudentInnen: Sie kommen alle gerne in meinen Unterricht, finden es toll, mit einer Ausländerin sprechen zu können, auch wenn sich einige wenige beklagen, dass sie mich nicht verstehen. Nach wenigen Tagen loben sie meinen Unterrichtsstil über den grünen Klee, weil ich anders unterrichte als die anderen. Stimmt – die Mehrzahl meiner Kollegen und die eine Kollegin dozieren nämlich ausschließlich. Ich brauche für meinen Unterricht viel länger als geplant, weil jedes interaktive Spielchen, jede Partner- oder Gruppenarbeit wiederholter Erklärungen und Probeläufe bedarf. Rollenspiele sind kaum durchführbar, weil kein jemenitischer Mann „Sally“ oder „Grandma“ sein will, nur um im männlich dominierten Klassenraum auch mal die weiblichen Formen zu üben.

Spielerisches Lernen ist ein ganz fremdes Konzept, sowie auch Ausprobieren und Hinterfragen. Die LehrerInnen sind durch ihre eigenen Lernerfahrungen – und das heißt zum größten Teil auswendig lernen und reproduzieren – geprägt und tendieren zur Nachahmung der selbst erlebten Lehrstile. Das trifft nicht nur auf LehrerInnen zu, wirkt sich hier aber besonders innovationshemmend aus. Große Frustration dann beim Examen, weil ich nicht nur Wissen, sondern Lösungswege und Ideen für ganz alltägliche Lehrprobleme abfrage. Entsprechend viele Studenten fallen in meinem Fach durch, aber das wird anderweitig ausgeglichen. Prüfungen und damit verbundene Betrügereien sind ein eigenes Thema.

Fortbildung (In-Service-Training)der Englisch-LehrerInnen

Wo immer ich mit meiner Klapp-Pin-wand und dem prall gefüllten Moderationskoffer zu einem dreitägigen Workshop in einem der 20 Distrikte auftauche, werde ich erst mal freundlich und freudig willkommen geheißen. Es gibt nämlich bisher keine regelmäßigen Fortbildungen für LehrerInnen. Und informelle Treffen zum kollegialen Austausch sind auch unbekannt. Also leidet jede/r LehrerIn im Stillen vor sich hin und ist allein gelassen mit den Problemen. Logisch, dass ich da willkommen bin mit der Erwartung, dass sie ihre Probleme mal ansprechen können und neue Informationen und Tipps bekommen. Manchmal sind sie dann zunächst etwas vorwurfsvoll-reserviert, wenn ich ihnen in den ersten fünf Minuten erkläre, dass es keine Patentrezepte für jede Lehrerpersönlichkeit und jede Unterrichtssituation gibt, sondern dass wir interaktiv und prozessorientiert arbeiten.

Von den ca.850 KollegInnen in der Provinz erreiche ich etwa zwei Drittel – und das nur, weil ich in die Distriktzentren fahre – bis zu drei Stunden auf holpriger Piste. Aber selbst dorthin hat dann manch ein Lehrer noch einen Weg von bis zu zwei Stunden aus einem abgelegenen (Berg-)Dorf.

Von den FachberaterInnen, tatsächlich auch zwei Frauen in der Stadt Ibb, kam in der Vergangenheit nicht viel Unterstützung in Unterrichtsfragen, denn sie sehen ihre Aufgabe lediglich als Kontrollettis und müssen in regelmäßigen Abständen Berichte über die LehrerInnen schreiben, die oftmals auf der flüchtigen Wahrnehmung eines einzigen Besuchs beruhen. Also halten diese in der Regel nicht viel von ihren FachberaterInnen, sehen sie

aber immer als Bedrohung im Hintergrund. Und außerdem müssen sie oft als Ausrede herhalten, warum die Lehrkräfte den einen oder anderen Unsinn (aus dem Lehrplan oder dem Lehrbuch) nicht schon längst gestrichen oder adaptiert haben. Da das Schulwesen (noch) sehr zentralistisch organisiert ist mit zentral
gestellten Prüfungen usw. gibt es auch die Erwartung, dass gefälligst alle das Gleiche in gleicher Weise zu unterrichten haben. Das wird sich hoffentlich in der Zukunft ändern, wenn mit der Grundbildungsstrategie auch Konzepte wie „schülerzentriertes“, „handlungsorientiertes“ und „entdeckendes“ Lernen eingeführt werden. Aber das ist Zukunftsmusik. Erst einmal versuche ich die LehrerInnen zu ermutigen, selbständig zu denken und zu entscheiden und nicht jede Zeile aus dem
Buch mit gleicher Wichtigkeit durchzunehmen. Motto: “You are the master, not the course book!” Einer der Gründe warum viele der LehrerInnen ausschließlich auf Arabisch Englisch unterrichten liegt darin, dass ihr Englisch einfach nicht gut genug ist. Das kann ich auch nicht ändern. Und der Tipp, doch ganz gezielt englischsprachige Sender in Fernsehen und Radio zu empfangen, geht bei der Mehrzahl der KollegInnen ins Leere, da sie in Gegenden leben und arbeiten, wo Elektrizität und Satellitenfernsehen keine Selbstverständlichkeit sind. Auch beim Bildungsstand und dem Zugang zu Medien und Informationen gibt es ein krasses Stadt-Land-Gefälle. Während z.B. Internet-Cafes in der Stadt Ibb wie Pilze aus dem Boden schießen, verfügt kaum ein Lehrer auf dem Land über Telefonanschluss oder Handy.

Meist dauert es nicht lange, bis wir im Workshop auch herzlich lachen – trotz aller bejammernswerten Umstände. Und selbst in eher reservierten Runden, wo einige Teilnehmer großartige Erwartungen (Anforderungen an mich) formuliert hatten, war das Eis schnell gebrochen.
Die LehrerInnen merken schnell und honorieren auch, dass ich praxisorientiert arbeite, ihre Situation gut kenne und trotzdem (fast) nie akzeptiere: „Das geht nicht, weil …“ Und siehe da, sie finden immer selber einen Weg, scheinbar Unmögliches möglich zu machen. Ich tröste sie auch immer damit, dass ich ihnen versichere, dass die von ihnen beklagten Umstände wie: „zu wenig Zeit, keine
geeigneten Hilfsmittel, uninteressierte SchülerInnen und Eltern“ weltweit von LehrerInnen beklagt werden.

Von 25 Teilnehmern sind durchschnittlich drei weiblich. In manchen Distrikten gibt es mehr Lehrerinnen, aber einige kommen nicht, wenn auch Männer da sind. Und diejenigen, die kommen, sind (ausgenommen die wenigen Ausländerinnen, wie z.B. Irakerinnen) bis auf einen Augenschlitz verschleiert und nicht unbedingt bereit, in der Runde laut hörbar zu sprechen. Ich weigere mich grundsätzlich zu wiederholen, was sie sagen und ermutige sie dazu, sich selbst Gehör zu verschaffen. Woraufhin sich immer ein Mann findet, der die „stummen“ Frauen verteidigt. Aber da gibt’s keine Diskussion: Wer unterrichten will, muss
auch sprechen können!

Neben meinen vielen Ratschlägen und Informationen, die auf Wunsch der Lehrkräfte durch umfangreiche Handouts ergänzt werden, liegt der Schwerpunkt meines Tuns auf Eigenaktivitäten der TeilnehmerInnen. Das soll auch das Ziel für den Unterricht sein: Aktivitäten der SchülerInnen planen und durchführen.
Wie auch bei den Studenten mache ich die Erfahrung, dass den Lehrkräften Spiele jeder Art, und vor allem Rollenspiele, absolut fremd sind und ich unheimlich viel Zeit und Geduld brauche, um mit ihnen Spielchen wie z.B. „I spy with my little eye …“ zu machen.

Was soll’s?

Was das Ganze soll angesichts der teilweise desolaten Zustände im öffentlichen Dienst, wo Posten oftmals aufgrund von Beziehungen oder Geldtransfers statt aufgrund von Qualifikation vergeben
werden? Ich bin optimistisch und denke, dass Bildung für den Menschen und die Menschheit ungeheuer wichtig ist und dass jeder die Chance haben sollte, von möglichst guten Lehrkräften unter bestmöglicher Ausnutzung der Ressourcen unterrichtet zu werden. Und ich freue mich über jede/n einzelne/n LehrerIn,
der/die auch so denkt und im Workshop „anbeißt“. Viele sind wirklich sehr frustriert und deswegen – oder trotzdem – bereit, jedwede Anregung aufzunehmen.

Zur Zeit läuft die Ausschreibung für das Training zukünftiger TrainerInnen im August – und das Interesse ist riesengroß. Das motiviert und bestärkt mich in der Überzeugung: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Gudrun Orth, Hauptschullehrerin aus München, seit August 2001 beurlaubt um den Jemen und islamischen Alltag kennen zu lernen. Seit März ‘02 als CIM-Expertin in der
LehrerInnenaus- und – fortbildung in Ibb tätig (Gudrun.Orth@y.net.ye)


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