Iris Gerlach, Leiterin der Außenstelle des DAI in Sanaa, war dabei, als 2005 ein monumentaler Inschriftenstein im jemenitischen Sirwah ausgegraben wurde. Der wichtigste Fund ihrer Laufbahn, sagt Gerlach.

Plötzlich herrschte Hochspannung auf der Grabung des Deutschen Archäologischen Instituts im Almaqah-Tempel von Sirwah, 40 Kilometer westlich von Marib an den Ausläufern des jemenitischen Hochlands. Im letzten Areal der Grabung im Heiligtum von Sirwah, dem religiösen Zentrum des Königreichs Saba, tauchte 2005 im Flugsand ein über sieben Meter langer Stein auf.

„Wir waren schon sehr aufgeregt“, erinnert sich Iris Gerlach, Leiterin der Außenstelle des DAI in Sanaa, die seit 2000 in Sirwah gräbt und nun von Berlin aus arbeitet. „Wir kannten bereits die beiden 6,90 Meter langen übereinanderliegenden Inschriftensteine des Mukarribs (Königs) Karib’il (um 685 vor Christus), die zentral im Heiligtum aufgestellt waren und von den kriegerischen Unternehmungen dieses Mukarribs erzählten.“

Man konnte also davon ausgehen, dass der direkt gegenüber entdeckte lange Stein eine ähnliche Bedeutung haben könnte. „Beim Tiefergraben haben wir natürlich die Unterseite des Steins abgetastet und wie erwartet das Relief einer Inschrift erspürt“, erzählt Gerlach. Doch diesen gewaltigen Kalkstein hätten auch 100 jemenitische Arbeiter nicht umdrehen können. 

Der 2005 bei der DAI-Grabung in Sirwah von Iris Gerlach entdeckte Inschriftenstein.
Der 2005 bei der DAI-Grabung in Sirwah von Iris Gerlach entdeckte Inschriftenstein. 

Der Stein war im 6. nachchristlichen Jahrhundert bei einem verheerenden Erdbeben mit Teilen der  zehn Meter hohen Tempelmauer nach innen gestürzt. Die Inschrift war unbeschadet, da der Flugsand den Sturz abgefedert hatte, denn das Heiligtum war schon 300 Jahre zuvor aufgegeben und Opfer des Wüstensandes geworden.

Zur Aufrichtung des neu entdeckten Steins bestellten die Archäolog:innen einen schweren Kran aus einem benachbarten Tal, wo es Erdölfelder gibt. Die Zeit bis zur Ankunft des Krans nutzten die DAI-Archäolog:innen, um das Podest des Inschriftensteins wieder aufzumauern. Dazu nutzen sie die ursprünglichen Steine und orientierten sich dabei an der Podesthöhe des bereits seit langem bekannten Inschriftensteines gegenüber.

Iris Gerlach informierte umgehend Norbert Nebes, Spezialist für Altsüdarabisch an der Universität Jena. Als weltweite Koryphäe auf dem Gebiet der sabäischen Schrift und Sprache ahnte er, welcher Fund hier gemacht wurde und reiste sofort nach Sirwah.

Das früheste Zeugnis für die Vorherrschaft der Sabäer 

Bevor der Kran den Stein auf das neue Podest heben konnte, mussten die Restauratoren ihn auf etwaige Risse untersuchen und ein Stahlgerüst anfertigen, um einen möglichen Bruch zu verhindern. Immerhin wog der 7,25 Meter lange Stein sieben Tonnen.

„Das war der bisher wichtigste Fund in meiner Laufbahn als Archäologin“, erzählt Gerlach am DAI in Berlin. Ihre Vermutung hat sich bewahrheitet. Der neue Kalksteinblock erzählt von den Taten des Mukarribs Yitaʿʾamar (um 715 v.Chr.). Wie Nebes noch vor Ort ausführte, handelt es sich bei der Inschrift um das frühste Zeugnis, das die Vorherrschaft der Sabäer im heutigen Jemen und ihre Kontrolle über die Weihrauchstraße bis ans Mittelmeer belegt. 

„Die Präsentation dieser beiden Tatenberichte der Mukarribe im zentralen Heiligtum von Sirwah war einzigartig. Hunderte von Menschen trafen sich hier zu kultischen Banketten“, erzählt Gerlach. Präzise Datierungen seien auf der Arabischen Halbinsel sehr selten. Mit diesen Inschriftensteinen habe man aber nun einen historischen Orientierungspunkt, weil beide Mukarribe von bedeutenden assyrischen Königen in Mesopotamien erwähnt werden.

Die Steine wurden sofort mit Dächern gesichert, denn Sirwah verfügt über kein Museum. Den Stein nach Marib in das dortige Museum eines anderen Stammes zu geben, sei unvorstellbar gewesen. Bis 2009 konnten Iris Gerlach und ihr Team in Sirwah arbeiten, doch dann zwang sie der Krieg im Jemen zum Abbruch der Arbeiten.

„Wir vermuten in Marib noch ähnliche unausgegrabene Tatenberichte, aber die Verhältnisse dort sind zurzeit noch schwieriger“, sagt Gerlach. Ein Turm aus wiederverwendeten Bausteinen ist bei Kämpfen zerstört worden, und es gibt viele Einschusslöcher in der Tempelmauer. Aber ansonsten sei das Heiligtum von Sirwah noch mehr oder weniger intakt. 

Das Magazingebäude mit den Funden sei dagegen nach Kämpfen und Schäden am Dach vollständig geplündert worden. Doch dank des Monitorings durch den „Ancient Yemen Digital Atlas (AYDA)“ mit Hilfe von Satellitenbildern wisse man, dass der sonstige Ort noch weitgehend intakt sei.

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